Buongiorno

Wenn die Strassen unbefestigt sind, die Gehsteige krumm und buckelig, wenn die Tunnel unbeleuchtet und die Strassenschilder wie der schiefe Turm von Pisa in der Landschaft stehen, wenn selbige mit Reklameschildern und Abfall verschandelt ist und ich meinen Kaffee vor dem Konsum zahlen muss, dann bin ich in Italien. Ich bin auch in Italien wenn genau dieser Caffè mit einem breiten Lächeln und einem Schwätzchen serviert wird, wenn mein Nachbar an der Theke gleich eine Unterhaltung beginnt und wenn Autofahrer mich grüssen als ob wir zusammen die Grundschule besucht hätten. Italien, das bedeutet herrliche Küstenlandschaften, die mit horrenden Bausünden zubetoniert wurden und wo sich hässliche Kästen immer noch Grand Hotel nennen obwohl sie ihre besten Zeiten seit 40 Jahren hinter sich haben. Das bedeutet aber auch knatschblauer Himmel über weiss getünchten Häuschen mitten im Olivenhain, dazwischen Rhododendron und Hibiskus und all dies vor einer grandiosen Kulisse, dem smaragdenen Meer. Italien, da leben die Italiener und böse Zungen behaupten, dies wäre das Problem. Ich sehe das nicht so. Es ist die einzig mögliche Lösung, denn wer sonst wenn nicht die Italiener könnte sich mit so viel Charme, Kreativität und Lebensfreude in einem Land behaupten, dass von einer Regierungskrise in die nächste schlittert, wo Korruption, Vetternwirtschaft und organisierte Kriminalität um Macht und Geld buhlen und sich in diesem gemeinen Spiel hübsch miteinander bereichern? In Italien habe ich gelernt, im Verkehrschaos und im bürokratischen Dschungel zu überleben. Ich weiss, dass ich im Restaurant für "la coperta" bezahlen muss, also das Gedeck, und dass das Leben im Süden zwischen 12:30 und 16:00 Uhr komplett zum erliegen kommt. Es würde gar nicht anders gehen, denn wie soll man bei 40 Grad im Schatten produktiv sein? Eine Tatsache, die Nordländer und Kolonialherren nie begreifen wollen. In Italien arrangiert man sich, zum Beispiel indem man an der Steuerbehörde vorbei wirtschaftet, weil einem der Staat sonst alles nimmt und nichts zurück gibt. Oder indem man sich gegenseitig unterstützt und mir ein Klempner das Klo auf Vordermann bringt während ich ihm dafür zeige, wie er eine webpage erstellen kann. Hier ist es schwer, einsam zu sein, denn es gibt immer jemanden, der zum Essen einlädt oder sich einladen lässt, der sich Zeit zum zuhören nimmt - egal, ob im Supermarkt oder auf der Strasse. Italien ist auch das Land der Extreme, zum Beispiel was Hunde betrifft. Die einen lieben sie überschwänglich und die anderen hassen sie geradezu, setzen sie aus oder knallen sie ab. Oder der Umgang mit dem Handy. Hier findet man Menschen, die holen ihr Nokia nur deswegen raus, weil es einer sehen will, es gibt aber auch die, die zwei smart phones ständig mit sich rumtragen, dabei ununterbrochen in eines reden und alle Welt an ihrem Dasein teilnehmen lassen - nolens volens. Nirgendwo sonst ist das Nord-Süd Gefälle so stark wie hier. Während die im Süden an Leintücher als Bettdecke, soziale Kontakte, an ein Miteinander, an gutes Essen in allen Lebenslagen glauben, welches sie in einfachen Behausungen ohne Heizung meisterlich zubereiten, glauben die im Norden an Daunen, den ungebremsten Kapitalismus, an hektische Arbeitswut und ein gefülltes Bankkonto, nehmen sich aber keine Zeit zum Leben und Sein. Wenn ich noch hier leben würde, ich wüsste auch nicht wohin. Vielleicht in die Mitte? Umbrien oder so... Aber die haben im Winter auch arschkalte Häuser, dafür tagliolini con la salsa al tartufo! Das Leben ist auch in Italien sowas von ungerecht!

Marita