Salento
Eine Prise Anarchie, eine Handvoll Chaos, eine Messerspitze Illegalität, dazu viel Spontaneität, herzliches Miteinander, unkomplizierte Gespräche, frischen Fisch, Gemüse und Früchte vom Feinsten, garniert mit mediterranen Blüten, ein Schuss mildes Olivenöl, der fruchtige Geschmack eines beschwingten Weissweines, angereichert mit wildem Origano, serviert mit ganz viel Sonne, umgeben vom adriatischen und ionischen Meer und fertig ist ein exzellentes Gericht namens Salento. Ich bin zum ersten Mal im High Heel Italiens und jeden Tag taucht die Frage auf "könnte ich hier leben"? Oh ja, die Verlockung ist gross, denn das Wesentliche funktioniert ganz ausgezeichnet. Essen, Trinken, Schwimmen, Reden, die sozialen Gefüge, die gegenseitige Hilfsbereitschaft, die gute Laune, das unkomplizierte Sein. Ein paar Flip-flops, ein dünnes Kleidchen und ausreichend Wasser zum Duschen und zum Trinken. Damit kommt man wunderbar durch den Tag. Die Geselligkeit bei den vorzüglichen Mahlzeiten, die spontanen Einladungen - das Leben ist einfach und entspannt. Ich weiss, wie ich mich durch den Verkehr laviere, erkenne eine Parklücke von weitem, weiss, wie man die Gasflasche für den Herd wechselt und wie ich den Preis runter zu handeln habe, kann mich mit jedem unterhalten; die Tricks und Eigenheiten des Landes bin ich gewöhnt, dass die Uhren anders ticken und Zeit ein dehnbarer Begriff ist, stört mich nicht.
Mir ist allerdings auch klar, dass ich auf Dauer die herunter hängenden Kabel, den Dreck an den Strassenrändern, die italienische Bürokratie, die so verzwackt und lahmarschig ist, die losen Klodeckel, die Schimmelflecken an der Wand, die Löcher in der Strasse und das bauliche Durcheinander nicht mehr übersehen könnte.
Es würde mich tierisch nerven und ich würde aufhören, die Schönheit der Region und ihrer Menschen wahr zu nehmen. Luxus und Wohlstand, glänzende Badkacheln und ordentliche Gehsteige, genügend Strom um Spül- und Waschmaschine gleichzeitig laufen zu lassen, ein funktionierender öffentlicher Verkehr und blitzblanke Krankenhäuser haben mich ruiniert.
Jetzt, wo das Alter anklopft, will ich auf gewisse Annehmlichkeiten nicht mehr verzichten. Zwei Herzen wohnen, ach, in meiner Brust und ich muss mich mal wieder am Buffet des Lebens zwischen antipasti und dolce entscheiden. Aber nicht heute! Heute lass ich die Seele nochmal so richtig baumeln und delektiere mich an polpettine di melanzana.
P. S. Aber bei einer Sache bin ich mir ganz sicher! Hier fährt man Auto ohne allzu grosse Beachtung der Verkehrsregeln, dafür mit Handzeichen und wortloser Verständigung; der Verkehr fliesst, geparkt wird in jeder noch so kleinen Lücke und wenn die Strasse gerade ist, tritt man auf's Gas, denn Tempolimiten werden als Empfehlung interpretiert. Doch, das liebe ich. Es erinnert mich an meine Zwanziger: ungezwungen, angstfrei und ein wenig wild und unkonventionell. Ab und zu 'ne Vollbremsung - das bringt Schwung auf die Strasse und führt zu lebhaftem Austausch von verbalen Nettigkeiten oder unmissverständlichen Gesten. Ma ooohhh!