Wanderzoo

Beim Wandern, insbesondere in den Bergen, begegnen einem die unterschiedlichsten Arten der Spezies Mensch. Selber gehört man auch dazu, volens nolens, und wer weiss, wie einen die Mitwanderer kategorisieren würden. Uns fallen jedenfalls immer die gleichen Typen auf. 

Die Vielschwätzer: sie quatschen ununterbrochen und solange sie quatschen, laufen sie. Es ist ihnen egal, was man dabei alles über sie, ihre Familie, ihre Freunde, ihre Verwandtschaft und ihre Arbeitskollegen erfährt. Kein Detail ist zu intim, als dass es nicht lauthals verkündet würde. An der Spitze laufen hier die Italiener aber auch amerikanische und Wanderer aus dem Osten sind gut vertreten. 

Die Vandalen: sie zertreten jede Heuwiese und übersehen geflissentlich das Verbotsschild. Sie trampen alles nieder, was ihnen in den Weg kommt, besetzen ganze Bänke mit ihren Rucksäcken, lassen das Butterbrotpapier liegen, erlauben ihren Kindern und ihren Hunden, in der Wiese zu kacken, lassen das Gatter für's Vieh offen, treiben sich auf Privatgrundstücken herum und wenn man sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam macht, werden sie frech und prollig. Leider kommt diese Spezies in ganz Europa vor; das miese Verhalten wird von den Erwachsenen an die Kinder vererbt. 

Die Ehrgeizigen: kein Berg ist zu hoch, keine Wand zu steil, kein Weg zu weit. Wehe dem, der ihren Stechschritt kreuzt und ihnen 10 Sekunden Zeitverlust beschert. Den Puls- und Schrittzähler ständig im Auge, kennen sie nur ein Ziel: Erster zu sein. Erster von was? Egal! Hauptsache Erster. Und wo? Auch egal, Hauptsache schwierig. 

Ihr Körper muss schmerzen sonst war alles umsonst. Herren älteren Datums und junge, muskelbepackte Schönlinge beiderlei Geschlechts zeichnen sich in dieser Kategorie aus. 

Die perfektionistischen Besserwisser:

Ihre Ausrüstung ist vom Feinsten, sie haben sich jeden Wanderweg gemerkt, alles recherchiert und wüssten theoretisch, was zu tun wäre, falls sich einer verläuft, falls sich einer den Knöchel verstaucht und falls es regnen sollte. Besonders die Unterkategorie Papa mit Kind kommt hier zum Zuge. Einmal im Jahr verbringt der Erzeuger seines, am liebsten männlichen Nachkommens, einen Tag mit ebendiesem in luftiger Höhe und müllt das ihm auf Gedeih und Verderben ausgelieferte Kind mit seinen Weisheiten zu. Norditalienische Grosstädte dürfen sich in dieser Klasse die meisten Medaillen umhängen.

Die Zombies: die Natur kann sich noch so bezaubernd, der Himmel noch so blau und die Sonne noch so strahlend präsentieren, der Zombie stampft verbissen und verbittert vor sich hin. Kein fröhliches Grüezi, kein freundliches Kopfnicken entlocken ihm ein Lächeln. Die Welt ist böse und ungerecht und er oder sie das Opfer. Die ganze Herrlichkeit der Landschaft ist vergeudete Liebesmüh, der Zombie will nicht nett sein und jeder soll es merken. "Gädrige Geissen", alleinstehende Buchhalter und orthodoxe Juden finden hier einen gemeinsamen Nenner. 

Die Hippies: ihnen ist es egal, ob sie am Strand von Goa, in New York oder auf 2000 Meter über dem Meer laufen, sie geben sich durch ihre Kleidung und ihr weltenfremdes Gebahren zu erkennen. Zu jeder Saison und bei jeder Temperatur laufen sie in Flip Flops, Wallekleider und Juterucksack rum. Sie tun niemanden etwas zu Leide und grinsen ununterbrochen debil vor sich hin. Obacht! Noch nie ist mir ein Fall zu Ohren gekommen, bei dem einem Goa-Anhänger in den Bergen etwas passiert wäre. Ist es die esoterische Ausstrahlung und gibt es zwischen Himmel und Erde eben doch mehr, als wir meinen? 

Die Normalos: sie kommen in die Berge wegen der unvergleichlichen Panoramen, der Fauna und Flora, dem Alpkäse und der Freude am Wandern. Dem Universum sei Dank, vertreten sie das grosse Mittelfeld. Sie grüssen und bleiben auf engen Wegen stehen um einen vorbei zu lassen. Sie streicheln den Hund, wechseln ein paar Worte und geben gute Tipps, falls man sie darum bittet. Sie respektieren die Natur und die Mitmenschen, bringen sich und andere nicht in Gefahr und pflücken keine Blumen, die unter Naturschutz stehen. Dank ihnen sind alle anderen nicht wichtig und an manche Begegnungen erinnert man sich noch jahrelang.

Zu guter Letzt mein persönlicher Publikumspreis: Alleinstehende, betagte Damen, die mit Beharrlichkeit, Ausdauer und Chuzpe ungeahnte Höhen erklimmen, jederzeit für ein Schwätzchen zu haben sind, mit dem Schicksal nicht hadern und mit hoch erhobenem Kopf um jeden Schritt kämpfen. Ich lüpfe meinen Sonnenhut und denke "hoffentlich wirst Du auch mal so". Kompliment, meine wackeren Heldinnen, meine Verehrung. Handkuss. 

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Marita