Tusse

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Sie sitzen direkt neben mir. Morgens, kurz nach acht im Café. Davor haben sie mit ihren SUV's die Strasse vor der Schule verstopft. Ein Angeberauto nach dem anderen, pro Mami eines. Die kostbare Fracht wird vor der Türe abgeladen, dann schwingen sich die Damen auf Stöckelschuhen oder sündhaft teuren Sneakers aus dem obligatorischen Panzer (ich fühle mich sonst auf der Strasse nicht sicher) und streben Richtung Cappuccino. Perfekt zurecht gemacht, geschminkt und parfümiert werten sie gleich die Deko auf. Während die eine mit geradezu ballerinenartigen Bewegungen ständig ihre, zugegeben, prächtigen Haare über die Schultern wirft, fummelt die andere medienwirksam am Dekolleté herum, vor allem dann, wenn der schnuckelige Kellner vorbei läuft. Die Dritte hat sich dank stundenlangem Instagramgucken eine gekünsteltete Körperhaltung zugelegt; der halboffene Schmollmund und die platinblond gefärbten Strähnen gleich der Barbie entlehnt. Ihr Gesprächsstoff dreht sich um das Nagelstudio, den Termin bei der Kosmetikerin, den Sommerurlaub, den Winterurlaub (Verbier oder Gstaad?), die Pool-Party am Wochenende, den Tennisunterricht der Sprösslinge und die Anzahl der Salatblätter auf dem Mittagsteller. Während sie sich ununterbrochen in den Augen der jeweils anderen spiegeln, gepresst lächeln und alle paar Sekunden auf's Handy starren, geifern ihre unsteten Blicke hin und her, erfassen jede andere Frau mit Argusaugen und scannen diese auf potentielle Rivalität. Ich krieg die Krätze! Innerlich wutverzerrt keifert es in meinem Hirn wie ein altes Fischweib. Warum zum Teufel bedienen diese drei verdammte Tussen jedes billige Klischee über Frauen, die sich einzig und alleine aufgrund ihrer Äusserlichkeiten und Dank ihrem Spatzenhirn einen finanzstarken Krawattenträger geschnappt haben? Als überaus ansehnliches Gebinde tänzeln sie an seiner Seite, ständig auf der Hut vor gefährlichen Nachfolgerinnen, die schon zu Tausenden in den Startlöchern stehen. Was rege ich mich hier so auf? Neidisch? Also, mal abgesehen von der Haarpracht, nein. Fuchsig bin ich, so richtig giftig und essigsauer. Wofür kämpft Frau seit Jahrhunderten für Gleichberechtigung, für Partnerschaften auf Augenhöhe, für finanzielle Gerechtigkeit und die Anerkennung ihrer Kompetenzen, ein selbstbestimmtes Dasein und das Recht auf eigene Entscheidungen? Wozu das alles, wenn Silikonmöpse, Botox to go, dümmliches Gequake, size zero und der "gap" zwischen den Beinen (Gott, sind wir eine kranke und dekadente Gesellschaft) alle emanzipatorischen Errungenschaften zunichte machen? Kreisch! In mir schwillen Gelüste, die ich aus meiner Kinderzeit kenne. An den Haaren ziehen, das Gesicht mit den Fingernägeln zerkratzen, blaue Flecken zwicken. Und so, während ich zuhöre und schaue, noch schwer beschäftigt mit dem Tornado, der in mir stattfindet, flacht dieser schon ab, wird lauer und milder um Platz für neue Gefühle zu schaffen. Traurigkeit und Mitleid kommen hoch. Ach, Ihr armen Schwestern, was soll aus Euch werden? Was, wenn ihr trotz Superdiät, täglichem Krafttraining und Unsummen an Kosmetika auf der Strecke bleibt? Werden Alkohol, Tabletten oder exzessives Shopping Eure Leiden im Hinblick auf das Alter auffangen? Wie füllt Ihr die unendliche Leere aus wenn das Schicksal noch was anderes als Jugendlichkeit und Schönheitswahn verlangt? Kommt her, ihr kleinen, verletzlichen Mädchen und lasst Euch umarmen. Denn Umarmungen werdet Ihr brauchen. Ich zahle und gehe, ich Gutmensch. Rufe freundlich Ciao zum Nebentisch, ich falsches Miststück. Ein Schaudern in meinem Rücken, denn, ich fühle es, hinter mir verselbständigen sich drei strahlend weisse Gebisse, klappernd nähern sie sich meinem Nacken, bissbereit. Jetzt aber dalli.

Marita