Überraschung!
Mama? Ja? Du, hör mal... Wir kommen übermorgen und bleiben zwei Tage. Wie findest Du das denn? Die überschwengliche Freude in der Stimme meiner Tochter ist nicht zu überhören. Ähm, ich, ja, also. Natürlich freue ich mich über Euren Besuch, töne ich begeistert zurück. Wann seid Ihr da? Das weiss ich noch nicht genau, kommt auf die Ticketpreise an. Ich sag' Dir morgen Bescheid. Morgen - ein sehr dehnbarer Begriff für süditalienisch geprägte Menschen. Aber gut, mir soll's recht sein. Schliesslich reist meine älteste Tochter aus der untersten Spitze des Stiefelabsatzes an; da kann man ja wohl flexibel sein. Jetzt muss ich zuerst meine Termine umplanen, die eigentlich für das Wochenende vorgesehen waren, Gästebett herrichten, frische Handtücher drapieren, Bad putzen, einkaufen (was koche ich?) und noch ein paar Flaschen Wein besorgen.
Drei Uhr nachmittags und immer noch kein Lebenszeichen. Ich schreibe eine WhatsApp. Kannst Du mir sagen, wann genau Ihr da seid? Ich koche was Schönes und möchte nicht so spät essen. Die Antwort kommt 2 Stunden danach: wir sind um 19:33 Uhr am Bahnhof. Smiley smiley smiley. Herrje, denke ich, da essen wir ja frühestens um acht. Dazu muss ich sagen, dass alle Welt weiss, dass ich gerne früh esse. Sonst liegt mir das Zeug im Magen und Hunger habe ich auch keinen mehr. Aber gut; schliesslich muss sie sparsam sein. Nochmal zwei Stunden später. Meine Jüngste ist am Telefon. Mama? Ja? Überraschung! Wir holen die beiden am Bahnhof ab und bringen sie mit. So können wir alle zusammen essen, ist das nicht schön? Ähm, ja, also. Doch! Klar! Wunderschön! Ich disponiere sofort meinen Einkaufszettel um und entscheide mich für Königsberger Klopse mit Reis und gemischtem Salat als Vorspeise. Dieser Salat entspricht der Saison und kommt direkt vom Bauernhof, das Fleisch ebenfalls. Darauf lege ich Wert und bin stolz darauf, ein Mitglied der solidarischen Landwirtschaft zu sein. Schade nur, dass meine Jüngere gar nicht begeistert von Feldsalat und Radicchio ist und den Teller prompt stehen lässt. Tja, Pech gehabt. Ich lasse mich von solchen Episoden nicht mehr verunsichern, früher wäre ich in der Küche herum gesprungen und hätte nach Alternativen gesucht. Dafür isst der ansonsten vegetarische Lebensgefährte tatsächlich die Klopse, mit Genuss. Jedenfalls sitzen alle meine Lieben um den Tisch, es plappert und erzählt in einem lustigen italienisch-deutschem Mischmasch, wir lachen viel und die Stimmung ist bombig. Familie wie aus dem Bilderbuch. Es ist der erste Advent und wir feiern sozusagen Weihnachten vor. Ohne das ganze Brimborium, dafür in Liebe und Zuneigung, gepaart mit dem typischen Spott, dem man im engsten Kreis ausgesetzt ist, weil man sich von Geburt an kennt. Die Überraschung ist bestens gelungen und mein Herz randvoll von Dankbarkeit. Das der anderen scheinbar auch, denn es wird kurzerhand beschlossen, sich am nächsten Tag nochmal um den Tisch zu treffen. Ähm, ja, also, klar. Was um aller Welt koche ich? Egal - kommt alle und lasst Euch umarmen. Es sind zwei unvergesslich schöne Tage, ganz ohne Feiertagsdekoration und Erwartungshaltungen, die sowieso nie erfüllt werden können. Mein schönstes Weihnachten ever. Bloss das mit dem Küchendienst müssen wir nochmal überdenken. Beim nächsten Mal.