Selfie
Es sind diese Regentage an denen manchmal Zickenalarm herrscht. Dann bin ich alleine zu Hause, habe massenhaft Zeit und investiere diese ganz gerne mal in mich selbst. Das bedeutet, YouTube makeup tutorials gucken, nachmachen, cremen, schmieren, pudern, malen, stylen, sprayen, wachsen, glänzen. Das Ergebnis meiner Bemühungen halte ich Dank der genialen Selbstauslöse-Funktion des allzeit präsenten Handys fest und…. schäme mich darauf ob meiner Eitelkeit und Oberflächlichkeit. Schliesslich geht mir diese ganze Selbstoptimierungs- und Darstellungssucht bei anderen tierisch auf den Geist. Was soll das also? Habe ich nichts besseres zu tun? Könnte ich nicht mal eben ein bisschen die Welt retten oder den Hund duschen oder einen Kuchen backen? Zumal ich nach beendeter Fotosession, am Ende des Wahns, fast alles wieder lösche. Denn, ahimè, auf den meisten Fotos sehe ich ganz normal aus, wie ich eben bin, mit all meinen kleinen Fehlern, bloss sorgfältig zurecht gemacht aber weit entfernt von den affengeilen (man verzeihe mir die Wortwahl), immergutgelaunten, positive thinking, bold and blessed Damen, denen ich da nacheifere. Geht's noch? Herr, lass Hirn vom Himmel regnen. Alles halb so schlimm, beschwichtige ich mich selber. Schliesslich hatte der Mensch schon immer das Bedürfnis, sich selbst in Szene zu setzen und zwar möglichst vorteilhaft. Ich erinnere an Frida Kahlo, Max Beckmann - einer meiner liebsten Maler - oder Albrecht Dürer, der sich sogar als Jesus Christ Superstar inszeniert hat - und das ein paar Jahrhunderte vor dem Musical! Es existieren unzählige Traktate über die Gründe und Abgründe dieses Tuns und so psychologisch tiefgründig will ich gar nicht werden, aber wieso passiert es immer wieder? Etwa aus Langeweile? Da fällt mir auf: die Nabelshow zieht gerne das Stöbern in alten Fotoalben nach sich, das Schwelgen in der Vergangenheit, die Recherche nach der Kindheit und Jugend. Also doch die Auseinandersetzung mit dem Ich und der eigenen Geschichte? Sollte ich nicht alle diese Raritäten sammlen und katalogisieren, in der Hoffnung das nach meinem Ableben Unsummen dafür bezahlt werden und meine Nachkommen als Goldmarie dastehen? Och Marita, geh Kuchen backen oder, Moment, müffelt da nicht der Hund?