Zuhause
In der altmodischen Küche bullerte ein Holzherd, daneben standen ein Korbsessel über dem Kellen und Suppenlöffel aus Aluminium hingen, sowie eine Chaiselonge. Ein Ungetüm mit geteilten Matratzen, Kissen, deren Stoff überall nachliess und gehäkelten Omadecken; der weltbeste Ort um regnerische Nachmittage mit einem Buch zu verbringen. Wenn Oma dann noch Waffeln buk, war das Glück vollkommen. Auf dem Herd simmerte den lieben langen Tag ein Kessel mit heissem Wasser und ohne Deckel. Aus dessen Öffnung verströmte die Kaffeekanne einen verführerischen Duft. Kaffee wurde zweimal frisch aufgebrüht und funktionierte auch als Durstlöscher. Als meine Oma älter wurde, gab es morgens Bohnen und mittags "Muckefuck". Die Schränke aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren mit einer Unmenge kleiner Schubladen versehen in denen man stundenlang nach allem möglichen und unmöglichen Krimskrams suchen konnte, auf Schatzsuche sozusagen. Freitag war Telefon-Einkaufs-Tag. Da mein Kinderparadies so ziemlich abseits der Zivilisation lag, und noch liegt, liess sich meine Oma das Fleisch und sperrige Sachen wie Waschpulver bringen. Erst wurde ein Menuplan ausgeheckt, unter Berücksichtigung der Kinderwünsche (Schnitzel, Markklöschensuppe, Rotkraut), dann mit dem Metzger telefoniert, dann mit dem Kolonialwarenhändler.
1924 wurde das Haus fertig gestellt.
Oma wusste genau was sie wollte und beriet sich gerne ausführlich mit dem Metzgermeister. Die Woche über kam Graubrot auf den Tisch, am Wochenende Weissbrot. Jeden Morgen warteten wir auf den gelben Käfer von der Post und auf die "Heftchen", die dann beim Eindämmern eifrig gelesen und kommentiert wurden. Mittwochs war Eiertag und da die letzten Hühner Ende der sechziger Jahre vom Fuchs geholt worden waren, liefen wir in's Nachbardorf zu Eier-Berta. Die hiess wirklich so und ist keine Erfindung aus dem Märchenbuch. Samstag war Backtag, denn Sonntags erwarteten wir die Verwandtschaft zu Kaffee und Kuchen. Für mich war es natürlich am schönsten, wenn meine Cousins und Cousinen dabei waren, denn Haus, Hof und Garten boten zahlreiche Möglichkeiten zum Spielen und Verstecken; abenteuerliche Ausflüge an verbotene Orte waren das Höchste. Die Remise, der Taubenschlag und der Runkelkeller waren uns strengstens untersagt, weil teils halsbrecherisch, teils einsturzgefährdet, aber das machte sie erst richtig interessant.
In den Fünfzigern
Mit Uroma Elisabeth (Lischen)
Einige meiner Onkel, Tanten und Cousins vor dem 2. Weltkrieg
Mit Oma Emmy in der Küche
Im angrenzenden Wäldchen mit den dunklen Tannen spielten wir "Rutschbahn" und rasten todesmutig auf unseren Hintern über das weiche Nadelbett den Hang hinunter. Ein Knaller war auch die Höllenfahrt mit dem Bollerwagen; ungebremst bretterten wir bis zur Kurve wo wir den Wagen auslaufen liessen - unfallfrei. Wenn wir dann rechtschaffen müde waren, ging es ab unter die dicken Federbetten, im Winter mit einer messingnen Bettflasche.
Mit Oma und Mama auf der Terrasse
Mit meiner Schwester 1965
Oh je, der arme Kerl. Ich war schon immer ein Temperamentsbolzen und mein Cousin völlig überfordert.
Ich schlief wie im Wolkenbett, manchmal von Uhu und Kauz bewacht, und wachte morgens mit roten Backen auf. An diesem verwunschenen Ort durfte ich einen grossen Teil meiner Kindheit und Jugend verbringen. Auch als erwachsene Frau bin ich immer noch sehr gerne dort, lasse die Zeit zeitlos sein, schlafe tief und fest, sitze auf der Terrasse und gucke in's Grüne, bin vollkommen zufrieden und leichten Herzens.
Das Schicksal hat es gewollt, dass der Familiensitz erhalten blieb und Dank der Grosszügigkeit meiner Verwandten darf ich immer wieder Kind sein, die Seele baumeln lassen, ankommen. Hier bin ich ganz bei mir. Kitschig aber wahr! Sicher sind meine Erinnerungen etwas verklärt und rosarot, sicher bin ich mir der Vergänglichkeit bewusst aber das ändert nichts an meinem Empfinden. Wenn ich den Berg runter fahre und mein Kinderschloss taucht zwischen den Bäumen wie eine Fata Morgana auf, weiss ich, ich bin zu Hause.
4. August 2012 ist meine Mama gestorben. Sie ist zusammen mit meiner Oma auf unserem kleinen Friedhof unterhalb des Familiensitzes begraben. Sieben Jahre schon.